Hinschauen wie es ist
auch wenn es schmerzt
So einfach wie es klingt, ist es nicht: Hinschauen, wie es ist. Zu viele verinnerlichte Gewissheiten und Überzeugungen haben den Anschein unerschütterlicher Wahrheiten und doch ist es nur der vorgefilterte Blick der etwas ganz anderes wahrnehmen lässt als wie etwas ist.
Geld wird als Tauschmittel betrachtet und daher neutral angesehen. „Geld stinkt nicht“, heißt es. Doch bei genauerer Betrachtung gibt es kein Geld an sich, ganz gleich welche Gesellschaftsform existiert sondern ganz unterschiedliche, epochenentsprechende Formen. Heute, im kapitalistischen Herrschaftssystem ist Geld Ausdruck des automatischen Selbstzweckes der Mehrwertschöpfung und seine Wertsubstanz speist sich aus verausgabter, menschlicher Arbeitskraft (Lebenskraft).
Weil dieses System auf Wert und Mehrwert gründet, geht ohne Geld nichts, nicht einmal die Befriedigung der einfachsten Bedürfnisse.
Neben seinem Wesen als greifbarer Wertausdruck verbrauchter Arbeitskraft fungiert Geld ebenfalls als universelles Tauschmittel, weshalb es auch Königsware genannt wird. Aber das ist nicht sein eigentliches Wesen. Als oben genannter Wertausdruck des kapitalistischen Systems, kann es vielmehr treffend als ein Fetisch, ein real wirkmächtiger Götze beschrieben werden, der unendliche Male mächtiger ist als jeder Götze unserer steinzeitlichen Vorfahren. Denn, Geld hat eine praktisch erlebbare, für jeden spürbare Macht, ganz gleich ob er daran glaubt oder nicht. Dieser werthaltige Realfetisch ist eine menschliche Schöpfung, die ihn mit Haut und Haaren beherrscht. Der Grund: Die Menschheit lässt sich ihre gesellschaftlichen Beziehungen von der Macht des Geldes diktieren, weshalb sie sich diesem unbewusst ausgeliefert gegenüber sieht. Damit beleben die Menschen das eigentlich tote Geld, und erschaffen damit einen höchst lebendig wirkenden Gott, der sie willkürlich zu strafen oder zu belohnen scheint. der zornige Gott der Bibel wurde im Geld wirkmächtig verwirklicht. Wer kennt nicht die Ausdrücke: „Geld, regiert die Welt!" oder „Selbstheilungskräfte des Marktes"? Aber weder Geld kann regieren noch der Markt sich selbst heilen, das ist immer nur über das gesamtgesellschaftlich unbewusste Wirken der Menschen machbar. Wie offenbarend solche Redewendungen für den eigentlichen, fetischistischen Charakter des Geldes im Besonderen und der Gesellschaftsform insgesamt, dem sich Menschen nahezu willenlos ausliefern. Geld und Markt werden nicht nur gottähnliche Kräfte zugedacht, wie einst hölzernen Götzen, sondern sie HABEN diese Macht real (von uns erhalten). So HAT Geld absolut reale Macht über Leben und Tod.
Demnach ist Kapitalismus wesenhaft weder eine Klassengesellschaft noch eine freiheitlich-demokratische Grundordnung oder sonst was, sondern ganz konkret, real sicht- und erlebbar eine gesellschaftliche Fetischform, welche auf dem Selbstzweck der Geldvermehrung, der Verwandlung von Leben in toten (Mehr-)Wert beruht. Und deshalb kann, solange es Kapitalismus gibt, die jetzige Geldform keineswegs neutral sein und von uns Menschen beherrscht werden. Ganz im Gegenteil wirkt es als versachlichter Herrscher über der gesamten Menschheit, ganz gleich wie es äußerlich erscheinen mag, als Metall, Papier oder digitale Zahleneinheit. Mit Geld ist eine fetischfreie, menschliche Gesellschaftsform NICHT machbar.
Vorher waren es personalisierte Fetische, wie Feudalherren, Gottkaiser usw. Und noch davor eben Geister und Götter. So kann gesagt werden, dass die bisherige Menschheitsgeschichte eine Abfolge von Fetischformen war und ist, welche in der jetzigen versachlichten Form, ihren endlichen Höhepunkt erreicht hat.
Das schonungslos zu betrachten und eben z. B. nicht mehr von der reinen Tauschware des Geldes auszugehen oder von den Gesellschaftsformen als solchen der Klassengesellschaften, ist hinschauen wie es ist. Klassenkämpfe haben Gesellschaften u. a. geholfen, sich jeweils auszuformen aber nicht, sie zu überwinden. Und sie haben eine Fetischform zur nächsten gebracht und keine Befreiung davon.
Jetzt offenbart sich etwas anderes: eine neue Fetischform ist nicht machbar, weil das Ausmaß der Unbewusstheit über die vorherrschende Fetischform nicht steigerbar ist. Jede Steigerung der abstrakt-fetischistischen Entfremdung hieße Tod (abstrakt = unsinnlich, tot). Somit kann nur der bewusste Bruch mit allen Fetischformen durch real-sinnliche Betrachtung der existierenden Gesellschaftsform, wie sie wirklich ist, ermöglicht und damit der Menschheit Überleben gesichert werden. (Was die Beseitigung jedes gesellschaftlich gegenwärtig bedingten und zukünftig ebensolch zusätzlichen Leides beinhalten muss.)
Die erstaunlichste Selbsttäuschung der jetzigen Gesellschaftsform auf weltanschaulicher Ebene liegt sicherlich in der nahezu unerschütterlichen Gewissheit, allen vorhergehenden Gesellschaftsformen himmelhoch überlegen zu sein. Was sich auf ihrer angeblichen Sachlichkeit besonders in Wirtschaft und Wissenschaft gründet. Wie wurden und werden Götzenanbeter belächelt? Und dabei sind wir heute bei Strafe des finanziellen Existenz- und damit Lebensverlustes alltäglich zum Götzendienst verdammt. Denn ohne Besitz von Geld, also ohne Anerkennung dessen realgottähnlicher Fetischmacht, geht nichts. Mit jedem ausgegebenen Euro wird Götzendienst geleistet usw., ob wir es nun wollen oder nicht.
Dass dies gesellschaftlich krank ist wie auch individuell krank machen muss, liegt auf der Hand. Und darum erschüttert durchaus die Einsicht, dass die gesamte „aufgeklärte“ Menschheit (also jeder von uns) hinsichtlich ihres Fetischdienstes noch viel umnebelter und blind-automatischer durchs Leben tapst als die angeblich dumpfen Steinzeitmenschen.
Denn diese wussten um die Anbetung ihrer Götzen, wir wissen es nicht (mehr).